Das Energienetz wandelt sich
Energienetze verändern sich mithilfe von IT, allen voran das Stromnetz. Es braucht mehr KI, mehr Ausgleich der schwankenden Produktion. Gebäude und netzdienliches Verhalten rücken in den Mittelpunkt.
Energienetze verändern sich mithilfe von IT, allen voran das Stromnetz. Es braucht mehr KI, mehr Ausgleich der schwankenden Produktion. Gebäude und netzdienliches Verhalten rücken in den Mittelpunkt.
250000 Kilometer Leitungen im Mittel- und Niederspannungsnetz, weitere 6800 Kilometer beim Höchstspannungsnetz: Das Stromnetz der Zukunft ist durch Tausende neuer Produktionen auf Hausdächern, entlang der Autobahnen und in der Landschaft gefordert – und die Datenflut wächst.
Vereinfacht gesagt: Das Netz muss den Strom in beide Richtungen transportieren und künftig Stromüberschuss speichern können. Ähnlich wie in der IT werden viele kleine Stromerzeuger zu einem «virtuellen Kraftwerk» zusammengefasst. Dynamische Preise sollen zudem dafür sorgen, dass Strom vor allem dann verbraucht wird, wenn das Netz wenig belastet ist. Nach dem Vorbild des Stromnetzes wird die Digitalisierung künftig auch weitere Energienetze erfassen.
Eine intelligente Vernetzung von Produktionen, Netzen und Gebäuden verringert die Ausbaukosten. Zu diesem Schluss kommt eine 2022 im Auftrag des Bundesamts für Energie durchgeführte Studie. Fazit: Verhalten sich E-Auto-Fahrende beim Laden ihrer Batterie netzdienlich und werden Solaranlagen auf 70 Prozent der Anlagenleistung reduziert, sinkt der Investitionsbedarf ins Netz je nach Szenario mehr oder weniger stark.
Dazu müssen die Komponenten des Netzes über einheitliche Schnittstellen miteinander kommunizieren. Der Verein «SmartGrid-ready» (smartgridready.ch) liefert das passende Label. Und mit der im neuen Stromgesetz verankerten «zentralen Datenplattform» soll der Austausch von Verbrauchs- und Produktionsdaten zwischen den Akteuren der Branche vereinfacht werden.
Allerdings dürfen künftig zur Schonung des Verteilnetzes die Leistungsspitzen nur noch lokal verbraucht werden. Die Haltung vieler Experten wie etwa Christof Bucher von der Berner Fachhochschule ist eindeutig: Photovoltaikanlagen sollen künftig nicht mehr ihren gesamten Strom ins Verteilnetz einspeisen. Dies wird als «netzdienliches Verhalten» bezeichnet. Doch was bedeutet es konkret, wenn der Energieversorger die Leistung auf 70 Prozent begrenzt? Der Ertragsverlust beträgt keineswegs 30 Prozent, da eine PV-Anlage ohnehin nur an wenigen Tagen mit voller Leistung produziert.
Laut einer Studie der ZHAW von 2014 liegt der tatsächliche Minderertrag nur zwischen 3 und 8 Prozent. Die BKW bestätigt nach eigenen Berechnungen einen Wert von
3 Prozent. Der Netzbetreiber sieht darin weitere Vorteile: Die Leistungsbegrenzung ermöglicht den Anschluss zusätzlicher Anlagen ans Netz, das nur für ein kalkuliertes Maximum ausgelegt sein muss. Gleichzeitig reduzieren sich die Investitionen ins Stromnetz, wodurch die Netzkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher stabil bleiben.
Turhan Demiray, Leiter der Forschungsstelle Energienetze an der ETH, hat mehr als
60 Verteilnetze in verschiedenen Netzgebieten mit realen Netzdaten analysiert. Seine klare Empfehlung am diesjährigen Stromkongress: «Ein Einspeisemanagement für PV-Anlagen reduziert die Netzausbaukosten.» Zusätzlich unterstützten laut den Ergebnissen angepasstes Kundenverhalten und Digitalisierung die Lastreduzierung und -verschiebung.
Das wachsende Energienetz setzt verstärkt auf Digitalisierung. Der Experte Marco Thoma vom Energienetz-Digitalisierer VivaVis (vivavis.ch) erläutert im Interview mit energieinside.ch die aktuelle Situation und künftige Entwicklungen.
Laut Marco Thoma macht die Schweiz Fortschritte bei der Digitalisierung des Stromnetzes, steht aber vor Herausforderungen. Smart Meter werden ausgerollt und erste digitale Netzlösungen getestet, während das Wachstum von E-Mobilität und PV-Anlagen das Netz zunehmend fordert.
Smart Meter seien zentral für das moderne Energiesystem: Sie ermöglichen Verbrauchsoptimierung und Engpass-erkennung. Die bisher unkoordinierte Netzausbauplanung werde durch die «Strategie Stromnetze» vereinheitlicht.
Das Niederspannungsnetz wandelt sich durch PV-Anlagen, E-Mobilität und Wärmepumpen zu einem aktiv gesteuerten System. Die Fernsteuerung von PV-Anlagen dient der Netzstabilität und ermöglicht Eigenverbrauchs-optimierung. Während Grosskraftwerke weiterhin wichtig bleiben, setzt die Zukunft auf einen Mix aus dezentraler und zentraler Produktion. Kritisch ist Thomas Blick bei den neuen lokalen Energiegemeinschaften (LEG). Diese müssten in eine übergeordnete Steuerung eingebunden werden. (bha)
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Mit dem Wegfall von klassischen Grosskraftwerken wie AKW fehlt dem Stromnetz ein stabiler Taktgeber. ETH-Forschende haben eine Lösung gefunden.
Die Lösung beruht auf einem Algorithmus, der die Netzfrequenz stabilisiert und gleichzeitig den Strom beschränkt.
Klassische Grosskraftwerke sorgen für einen stabilen Wechselstromtakt im europäischen Stromnetz. Forschende der ETH Zürich haben nun eine Lösung gefunden, damit Wind- und Solarkraftwerke übernehmen können – und die Energiewende möglich wird.
Die Schweiz und Europa im Sog der erneuerbaren Energien und der Abschaltung von Grosskraftwerken wie AKW – gerade Letzteres sorgt immer wieder für Ängste und Diskussionen. Wenn immer mehr Wind- und Solarkraftwerke ans Netz gehen, wird der Grosskraftwerkstrom unrentabel, gleichzeitig aber fehlt dem Stromnetz ein verlässlicher Taktgeber, weil Wind und Sonne nicht immer gleich viel Strom produzieren.
Während bisher die Generatoren der klassischen Grosskraftwerke – der Wasser-, Kohle- und Atomkraftwerke – mit ihrer einfachen und trägen Mechanik das Netz stabil hielten, braucht es nun elektronisch gesteuerte sogenannte Wechselrichter. Diese vor Netzfehlern wie Spannungseinbrüchen und Kurzschlüssen zu schützen, ist nicht einfach. Die Gruppe von Florian Dörfler, Professor für komplexe Regelungssysteme an der ETH Zürich, liefert dafür jetzt eine Lösung.
Mit neuen Algorithmen für eine intelligente Regelung ist es Dörflers Gruppe nun gelungen, die netzbildenden Wechselrichter auch bei einem Netzfehler weiterzubetreiben. Ein rigoroses Abschalten gibt es also nicht mehr. Damit kann eine Windkraft- oder Photovoltaikanlage auch bei einem Netzfehler am Netz bleiben, weiterhin Strom liefern und so zur Stabilisierung der Netzfrequenz beitragen. Die Anlage kann so die Rolle übernehmen, die heute den klassischen Grosskraftwerken zukommt.
Die Steuerung des Wechselrichters misst kontinuierlich die Netzparameter und passt den Wechselrichter über eine Rückkoppelungsschleife in Echtzeit daran an. Die ETH Zürich hat die neuen Algorithmen zum Patent angemeldet.
«Wir und andere forschen seit 15 Jahren auf diesem Gebiet», sagt Dörfler. «Unser Ansatz ist derzeit der beste, um das Problem zu lösen.» Die neuen Algorithmen tragen zur Stabilität des Stromnetzes bei, verringern das Risiko von Blackouts und ebnen den Weg von zentralen Grosskraftwerken hin zu einem dezentralen, flexiblen System kleinerer Kraftwerke, die erneuerbare Energie liefern. Damit könnten sie zu einem entscheidenden Baustein der Energiewende werden.